Ein Theater mit Haltung

Das Ernst Deutsch Theater hat seine Saison unter das Motto „Dichter am Leben“ gestellt.

von Heinrich Oehmsen

 

Isabella Vértes Schütter
Foto: Lukas Wahl
 

Am 4. Oktober feierte Henrik Ibsens Drama „Nora“ mit der jungen Stella Roberts in der Hauptrolle Premiere am Ernst Deutsch Theater. Im Interview spricht Isabella Vértes-Schütter, Intendantin des Ernst Deutsch Theaters, über den aktuellen Spielplan, das plattform-Festival, Poetry Slam an ihrem Haus und ihre Rückkehr auf die Bühne.

 

Theater Hamurg: Was sind die größten Herausforderungen, um ein großes Privattheater mit 750 Plätzen wie das Ernst Deutsch Theater künstlerisch und ökonomisch erfolgreich zu führen?
Isabella Vértes-Schütter: Jedes Haus muss sein eigenes Profil finden. Wir sind  aber auch direkt abhängig vom Publikumszuspruch und müssen eine Auslastung von mindestens 70 Prozent erreichen, um überhaupt kostendeckend arbeiten zu können. Immerhin hat man Verantwortung für 120 Mitarbeitende am Haus. Das mit dem künstlerischen Anspruch in Einklang zu bringen, dem man sich verpflichtet fühlt, ist die größte Herausforderung.

An wen richtet sich das Angebot des Ernst Deutsch Theaters?
Vértes-Schütter: Es ist uns wichtig, dass wir uns mit gesellschaftlich relevanten Themen auseinandersetzen. Es muss erkennbar sein, wie unsere Haltung in dieser Zeit ist. Das ist in Zusammenhang mit dem Vormarsch der Rechtspopulisten wieder ganz besonders wichtig. Wir sind ein Theater, das keinen Rassismus und keine Fremdenfeindlichkeit zulässt.

Ihr Spielplan setzt nicht auf Nummer sicher. Es findet sich eine Reihe moderner Stücke im Spielplan 2018/19, die das Publikum nicht kennt.
Vértes-Schütter: Haltung zu zeigen hat mit den Stoffen zu tun, die man auswählt. Stoffe wie „Der gute Mensch von Sezuan“, „Der Fall Furtwängler“ und „Demokratie“  sind eine gewollte Aussage. Ich beobachte mit Freude, dass diese politisch motivierte Auswahl vom Publikum tatsächlich nachgefragt wird.  Wir haben Orwells „1984“ und Schillers „Maria Stuart“ sehr erfolgreich gespielt und werden beide Inszenierungen wieder aufnehmen. „Sezuan“ lief zu Beginn der Spielzeit sehr erfolgreich und ich hoffe, dass auch „Der Fall Furtwängler“ und „Demokratie“ viele Zuschauer anziehen. Es hat Zeiten gegeben, in denen es ganz schwer war, mit solchen Stücken ein Publikum zu erreichen. Das politische Bewusstsein derjenigen, die ins Theater gehen, ist wieder sehr viel größer geworden.

Der Gute Mensch von Sezuan
Foto: 2018, Oliver Fantitsch
 

Sie stehen zum Beispiel mit der Uraufführung von „Sophie“ in der Tradition des Jungen Theaters, mit dem ihr Mann Friedrich Schütter 1951 angefangen hat und aus dem das Ernst Deutsch Theater hervorgegangen ist.
Vértes-Schütter: Das Haus hat nicht nur eine große antifaschistische Tradition, sondern auch eine Tradition, immer wieder neue Stoffe auf die Bühne zu bringen.  Wie „Sophie“. Es ist ein Stück der holländischen Autorin Roos Ouwehand. Es gibt in Holland gerade eine aufregende junge Szene mit spannenden neuen Theatertexten. Wir haben 2015 mit „Gift – Eine Ehegeschichte“ von Lot Vekemans eine gute Erfahrung gemacht. „Sophie“ ist ein wunderbarer poetischer Text, von dem ich hoffe, dass er viele Leute neugierig macht.

Über das Ernst Deutsch Theater wird gesagt, dass es hier noch richtiges Schauspieler-Theater gäbe und keine postdramatischen Experimente...
Vértes-Schütter: Das ist eine Frage der Perspektive.  Wir erzählen nach wie vor Geschichten. Wir zerschlagen nicht die Dramaturgie eines Stoffes und ergänzen den Text mit anderen Text-Fragmenten, es sei denn, es ist ein Projekt. Dann sagen wir aber auch: Dies ist ein Projekt. „Bundesjugendballett trifft Shakespeare“ zum Beispiel. Das wird ein Crossover aus Tanz, Musik und Shakespeare-Texten.

Wie wichtig sind große Namen aus Film und Fernsehen bei den Besetzungen?
Vértes-Schütter: Umso wichtiger, je unbekannter der Stoff ist. „Sezuan“, unsere Saisoneröffnung, hat sich schnell rumgesprochen, Brecht ist bekannt. Aber wenn  ein Stücktitel erst mal nichts transportiert, ist es wichtig, DarstellerInnen zu haben, die einem helfen, erfolgreich zu ein.

Wie sieht die Jugendarbeit am Ernst Deutsch Theater aus?
Vértes-Schütter: Wir haben die sogenannte plattform-Bühne mit 80 Plätzen und einem eigenen Foyer. Tagsüber und abends wird sie von unseren sieben  Jugendclubs genutzt, die sich an junge Menschen zwischen 12 und 20 Jahren richten.  Diese Clubs präsentieren die Ergebnisse ihrer Arbeit Ende Februar beim plattform-Festival. Dann gehört das Theater vier Tage lang komplett den Jugendlichen.

Sind aus der Jugendsparte schon Talente hervorgegangen?
Vértes-Schütter: Ja. Stella Roberts, die ab 4. Oktober unsere  „Nora“ spielen wird, hat im Jugendclub angefangen und hier Theater kennengelernt. Nach ihrer Schauspielausbildung in Rostock ist sie jetzt wieder nach Hamburg zurückgekehrt.

Wie wichtig ist Poetry Slam für das Ernst Deutsch Theater?
Vértes-Schütter: Ganz wichtig. Wir waren die ersten, die mit „Kampf der Künste“ eine feste Reihe etabliert haben. Dort kann man tolle Texte mit großartigen Interpreten erleben. Auch das Interaktive wird immer mehr von den Menschen nachgefragt, weil sie oft Freizeitbeschäftigungen nachgehen, die sehr einsam machen. Es ist wichtig, neue Formate ausprobieren, um ein anderes Publikum zu erreichen.

Wie erleben Sie die  Theaterlandschaft Hamburg im Moment?
Vértes-Schütter: Als Theater Hamburg treten wir für eine gemeinsame Sache an und eine gute Vernetzung hilft. Das funktioniert in Hamburg erstaunlich gut. Wir können uns verbinden und gemeinsam für Sachen eintreten und sind in Kontakt miteinander. Hamburg hat die stärkste Privattheaterszene in Deutschland, wir haben die großartigen Staatstheater und auch eine freie Szene mit einem riesigen Potenzial, das längst noch nicht ausgeschöpft ist.

Isabella Vértes Schütter in "Wunschkinder"
Foto: 2018, Oliver Fantitsch
 

Wie wichtig ist es Ihnen, als Schauspielerin noch selbst auf der Bühne zu stehen?
Vértes-Schütter: Ich  habe das eine ganze Zeit ruhen lassen und mich auf die Intendanz-Aufgaben konzentriert. Ich bin froh, dass ich es mir  zurückerobert habe, einmal pro Jahr in einem Probenprozess zu sein und selber auf der Bühne zu stehen. Das ist der Weg, auf dem ich zum Theater gekommen bin. Für mich ist es wichtig, das lebendig zu halten. Außerdem erlebe ich das ganze Haus mit all seinen Abteilungen und unser Publikum anders, wenn ich selbst auf der Bühne stehe.

Wo werden sie mitspielen?
Vértes-Schütter: Ich bin in dem Projekt mit dem Bundesjugendballett dabei.

Sie sind auch noch Bürgerschaftsabgeordnete für die SPD und deren kulturpolitische Sprecherin. Wie bekommen Sie das alles unter einen Hut?
Vértes-Schütter: Ich sitze  im Kultur-, im Wissenschafts- und im Gesundheitsausschuss. Ich muss mich sehr gut organisieren,  aber wenn parallel wie zur Zeit Haushaltsberatungen sind und hier am Theater mehrere  Produktionen laufen, ist es nicht so einfach, das unter einen Hut zu bekommen.

Gibt es Konflikte zwischen der Intendantin, die ja von der Hansestadt öffentliche Förderung für ihr Theater erhält, und der Kultur-Politikerin?
Vértes-Schütter: Ich empfinde das nicht als Konflikt. Bevor ich in der Bürgerschaft war, habe ich mich bereits kulturpolitisch engagiert. Ich kenne die gesamte Szene inzwischen sehr viel besser als früher. Mir ist es wichtig, dass die gesamte Kulturszene in Hamburg blüht. Ein Teilzeit-Parlament wie die Hamburgische Bürgerschaft macht ja letztlich nur Sinn, wenn aus den unterschiedlichsten Bereichen auch Menschen mit  Fachwissen im Parlament sitzen.